Offener Brief der WürzburgSPD

20. Dezember 2011

Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, sehr geehrte Gäste,

die Erkenntnisse der letzten Wochen haben uns unvorbereitet getroffen. Wir hätten die aufgedeckte Mordserie nie für möglich gehalten. Unsere Gedanken haben wir in einem offenen Brief formuliert. Wir freuen uns über Ihre Meinung, schreiben Sie uns unter <groetsch@spd- online.de>.

Freundliche Grüße Eberhard Grötsch und Niyazi Akcay für den Vorstand der WürzburgSPD

Wir leben in einer Zeit, in der Menschen verschiedener Kulturen vielleicht häufiger und intensiver als früher aufeinander treffen. Viele fühlen sich von Menschen anderer Herkunft und Menschen aus anderen Kulturen bedroht, sogar in ihrer Existenz. Warum ist das so? Auch wenn wir uns vor allzu einfachen Erklärungen hüten sollten, kann man doch ein paar Beobachtungen machen: Wer selbst als Person keine Wertschätzung erfahren hat, wer in seinem Umfeld unterdrückt wurde und als Kind selbst Gewalt erfahren hat, wer kein stabiles Selbstwertgefühl entwickeln konnte, sucht häufig Halt in der Zugehörigkeit zu einer Gruppe. Es gehört zur Logik solcher Gruppen, dass sie sich von anderen Menschen und Gruppen abgrenzen müssen, dass sie ausgrenzen, dass sie Feindbilder pflegen. Dies geschieht umso leichter, je weniger sie die „Feinde“ wirklich kennen, und je geringer der Bildungsstand ist.

Aber es sind nicht nur Außenseiter der Gesellschaft, die rechtsextreme Einstellungen haben.

Leider zeigen regelmäßige Studien an Hochschulen und der Friedrich- Ebert- Stiftung, die sich seit Jahrzehnten diesem Thema widmet (z.B. „Die Mitte in der Krise – Rechtsextreme Einstellungen in Deutschland 2010“, library.fes.de/pdf- files/do/07504.pdf), dass nicht nur Außenseiter in Springerstiefeln rechtsextreme und fremdenfeindliche Einstellungen vertreten: Das Ausmaß solcher Haltungen reicht bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. In der 2010 veröffentlichten Studie hat jeder Vierte ausländerfeindlichen Aussagen zugestimmt.

Wie konnte es zu den Morden kommen? Wer einem fremdenfeindlichen Satz zustimmt, was wir nicht verharmlosen dürfen, ist noch lange kein Mörder. Was in den Mördern vorging, wissen wir nicht, was sie dazu gebracht hat, zu morden, ist immer noch nicht hinreichend bekannt. Aber wir wissen, dass ihr Ausgangspunkt eine neonazistische Ideologie war. Und offensichtlich sind wir – die ganze Gesellschaft, und in besonderer Weise die für Sicherheit zuständigen Institutionen – nicht sorgfältig und nicht konsequent genug mit dieser Ideologie (neonazistischen Umtrieben) umgegangen.

Wie gehen wir damit um, wie verhindern wir solche Verbrechen in Zukunft?

Natürlich muss genau untersucht werden, wo Fehler bei den Sicherheitsbehörden gemacht worden sind, und ob die Mörder durch diese sogar in irgendeiner Form gedeckt wurden – und natürlich müssen Schuldige die strafrechtlichen Konsequenzen ihres kriminellen Fehlverhaltens tragen. Aber die Sicherheitsbehörden brauchen auch eine Struktur, in der sie ihre Aufgaben wirksam erfüllen können. Doch es wäre zu wenig, nur nach der Polizei zu rufen, oder den Verfassungsschutz besser zu organisieren und besser auszustatten – auch wenn da offensichtlich dringender Handlungsbedarf besteht. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten müssen weiter an der Gesellschaft mitarbeiten

Wir müssen früher ansetzen.

Als Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ist es unsere selbstverständliche und selbstauferlegte Pflicht, jeglichem Extremismus entgegen zu treten, so wie Otto Wels 1933 den Nationalsozialisten entgegengetreten ist. Wir müssen positive Gegenkonzepte entwickeln. So ist es für uns selbstverständlich, dass unter unseren Mitgliedern viele einen so genannten Migrationshintergrund haben, und dass diese Mitglieder in den Gremien unserer Partei – auch in Würzburg – keine symbolhafte, sondern eine wichtige und entscheidende Rolle einnehmen, denn sie sind Teil unserer Gesellschaft, die auch sie seit Jahren und Jahrzehnten mitgestalten. Deshalb lehnen wir hier in Würzburg Vorschläge zur Einführung einer MigrantInnenquote ab – wir wollen hierdurch keine neuen Grenzen ziehen. Vielmehr müssen wir dieses positive und konstruktive Miteinander, wo immer es geht, nach außen immer wieder sichtbar machen.

Wir müssen auch den Integrationsbegriff weiter denken, vielleicht auch neu gestalten. Es gilt nicht nur, neu bei uns angekommene Migrantinnen und Migranten sprachlich und gesellschaftlich gut auf das Leben in Deutschland partnerschaftlich und auf Augenhöhe einzustimmen – wir dürfen auch nicht zulassen, dass immer mehr Menschen in Deutschland sozial so weit absinken, dass sie für Parolen des Hasses und der Menschenfeindlichkeit empfänglich werden. Auch das ist eine ureigene Aufgabe von uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten: durch mehr Bildung und Einsatz für faire und gerechte Lebensbedingungen dafür sorgen, dass unsere Gesellschaft von selbstbewussten, gebildeten (überzeugten) Demokraten getragen wird, die rechtsradikalem Gedankengut keine Chance lässt.

Das alles ist nicht neu

Seit fast 150 Jahren arbeiten Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für mehr Demokratie, für Bildung, für sozialen Ausgleich, für gerechte Arbeitsverhältnisse und für eine faire und humane Gesellschaft. Doch die Mordserie, die viele von uns erst einmal sprachlos gemacht hat, macht es notwendig, weiterhin uns und die Gesellschaft daran zu erinnern, wofür wir stehen, und was unsere Aufgabe ist. Nicht nur, wenn solche erschreckende und erschütternde Ereignisse uns aufwühlen. Wir verstehen dies als kontinuierliche Aufgabe.

Und vielleicht müssen wir manches noch engagierter und noch intensiver anpacken.